Sigmund Freud. Vorrede des üebersetzers zum Buch: «Die Suggestion und ihre Heilwirkung» Bernheim, H. (Hippolyte). 1888

Die Suggestion und ihre Heilwirkung
Библиографический индекс: 1888-89a
Источник: archive.org/details/diesuggestionund00bern
Оригинальное название: Vorrede des üebersetzers zum Buch: «Die Suggestion und ihre Heilwirkung» Bernheim, H. (Hippolyte). 1888
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Die Leser dieses bereits von Prof. Forel in Zürich warm em- pfohlenen Buches werden hoffentlich an ihm alle jene Eigenschaften finden, welche den Uebersetzer veranlasst haben, es in’s Deutsche zu übertragen. Sie werden finden, dass das Werk des Herrn Bernheim in Nancy eine vortreffliche Einführung in das Studium des Hypnotis- mus, welches der Arzt nicht mehr abseits lassen darf, darstellt, dass es in vielen Beziehungen anregend, in manchen geradezu aufklärend wirkt, und dass es wohl geeignet ist, den Glauben zu zerstören, als sei das Problem der Hypnose immer noch, wie Meynert behauptet, von einer „Gloriole der Abgeschmacktheit» umgeben.

Die Leistung Bern heim ‘s (und seiner im gleichen Sinne arbei- tenden Nancyer Collegen) besteht gerade darin, die Erscheinungen des Hypnotismus ihrer Seltsamkeit zu entkleiden, indem sie an wohl bekannte Phänomene des normalen psychologischen Lebens und des Schlafes geknüpft werden. In dem Nachweis der Beziehungen, welche die hypnotischen Erscheinungen mit gewöhnlichen Vorgängen des Wachens und des Schlafes verbinden, in der Aufdeckung der für beiderlei Erscheinungsreihen giltigen psychologischen Gesetze scheint mir der Hauptwerth dieses Buches gelegen zu sein. Das Problem der Hypnose wird dabei durchaus auf das Gebiet der Psychologie hinübergespielt, und die „Suggestion» wird als Kernpunkt und Schlüssel des Hypnotismus hingestellt, ihrer Bedeutung in den letzten Capiteln überdies auch auf anderen Gebieten als dem der Hypnose nachgespürt. Der im zweiten Theil dieses Buches enthaltene Nachweis, dass die Anwendung der hypnotischen Suggestion dem Arzt eine mächtige therapeutische Methode schenkt, welche sogar für die Bekämpfung gewisser nervöser Störungen die passendste, dem Mechanismus dieser Störungen adäquateste zu sein scheint, verleiht dem Buche eine ganz ungewöhnliche praktische Bedeutung, und die Betonung des

Umstandes, dass die Hypnose wie die hypnotisclie Suggestion bei der Melirzahl der Gesunden, nicht blos bei hysterischen und schweren Neuropathen, zur Anwendung kommen kann, ist geeignet, das Interesse für diese therapeutische Methode über den engen Kreis der Neuro- pathologen hinaus unter den Aerzten zu verbreiten.

Die Sache des Hj^pnotismus liat bei den leitenden Männern der deutschen medicinischen Wissenschaft (wenn man von wenigen Namen, wie Krafft-Ebing, Forel u. A. absieht) eine recht ungünstige Auf- nahme gefunden. Aber man darf dennoch den Wunsch aussprechen, dass die deutschen Aerzte sich dem Problem und dem therapeutischen Ver- fahren zuwenden mögen, eingedenk des Satzes, dass in naturwissen- schaftlichen Dingen stets nur die Erfahrung und nie die Autorität ohne Erfahrung die endgiltige Entscheidung über Annahme und Ver- werfung herbeiführt. Die Einwände, welche wir bisher in Deutschland gegen das Studium und die Verwerthung der Hypnose gehört haben, verdienen in der That nur durch den Namen ihrer Urheber Beach- tung, und Prof. Forel hat leichte Mühe gehabt, in einem kleinen Aufsatze eine ganze Schaar derselben zurückzuweisen.

Ein Standpunkt, wie er noch vor etwa zehn Jahren in Deutschland der herrschende war, welcher die Realität der hypnotischen Phäno- • mene bezweifelte und die betreffenden Angaben durch das Zusammen- wirken von Leichtgläubigkeit — auf der Seite der Beobachter — und Simulation — von Seiten der Versuchspersonen — erklären wollte, ist heutzutage unmöglich geworden, Dank den Arbeiten von Heiden- hain und Charcot, um nur die grössten Namen unter den Männern zu nennen, welche ihre Glaubwürdigkeit für die Eealität des Hypno- tismus eingesetzt haben. Das merken auch die heftigsten Gegner der Hypnose und darum pflegen sie in ihren Publicationen, welche noch deutlich die Neigung verrathen, die Hypnose zu leugnen, . auch Ver- suche zu deren Erklärung aufzunehmen, durch welche sie ja die Existenz der betreffenden Phänomene anerkennen.

Ein anderer der Hypnose feindlicher Standpunkt verwirft dieselbe als gefährlich für die geistige Gesundheit der Versuchsperson und belegt sie mit dem Namen einer „experimentell erzeugten Psychose». Nun wäre ja mit dem Nachweis, dass die Hj^pnose in einzelnen Fällen schädliche Wirkungen erzielt, deren Brauchbarkeit im Grossen und Ganzen so wenig erledigt, wie etwa die vereinzelten Todesfälle in der Chloroformnarkose die Anwendung des Chloroforms zur Erzielung der chirurgischen Anästhesie verbieten. Es ist aber ganz bemerkens- werth, dass dieser Vergleich sich nicht weiter führen lässt. Die grösste Anzahl vou Unglücksfällen in der Chloroformnarkose erleben jene Chirurgen, welche die grösste Anzahl von Operationen ausführen, während die meisten Berichte über schädliche Wirkungen der Hypnose von solchen Beobachtern ausgehen, welche sehr wenig mit der Hypnose gearbeitet haben, und alle Forscher, die über eine grosse Reihe von hypnotischen Versuchen verfügen, in ihrem Urtheil über die Harm- losigkeit der Procedur einig sind. Es wird sich also wahrscheinlich darum handeln, auf eine schonende Weise, mit genügender Sicherheit und bei richtiger Auswahl der Fälle zu hypnotisiren, wenn man eine schädliche Wirkung der Hypnose vermeiden will. Man muss auch sagen, dass wenig damit gethan ist, wenn man die Suggestionen „Zwangs- vorstellungen» und die Hypnose eine „experimentelle Psychose» heisst. Es ist ja wahrscheinlich, dass die Zwangsvorstellungen mehr Licht durch den Vergleich mit den Suggestionen empfangen werden als um- gekehrt; und wen der Schimpf „Psychose» scheu macht, der möge sich fragen, ob unser natürlicher Schlaf minderen Anspruch auf diese Bezeichnung hat, falls es überhaupt lohnt, technische Namen ausser- halb ihrer eigentlichen Sphäre zu vergeben. Nein, von dieser Seite droht der Sache des Hypnotismus keine Glefahr, und dass die Hypnose ein ungefährlicher Zustand und ihre Einleitung ein des Arztes „wür- diger» Eingriff ist, wird feststehen, sobald eine grössere Eeihe von Aerzten Beobachtungen von der Art mittheilen kann, wie sie im zweiten Theil des Bernheim’schen Buches zu finden sind.

In diesem Buche wird noch eine andere Frage erörtert, welche gegenwärtig die x4.nhänger des Hypnotismus in zwei gegnerische Lager theilt. Die einen, als deren Wortführer hier Herr Bernheim erscheint, behaupten für alle Erscheinungen des Hypnotismus den gleichen Ur- sprung, nämlich die Herkunft von einer Suggestion, einer bewussteu Vorstellung, welche dem G-ehirne des Hypnotisirten durch äussere Beeinflussung eingegeben und von ihm wie eine spontan entstandene aufgenommen worden ist. Alle hypnotischen Phänomene wären dem- nach psychische Erscheinungen, Effecte von Suggestionen. Die anderen dagegen halten daran fest, dass dem Mechanismus wenigstens mancher hypnotischer Erscheinungen physiologische Veränderungen, d. h. Ver- schiebungen der Erregbarkeit im Nervensystem ohne Betheiligung der mit Bewusstsein arbeitenden Partien, zu Grunde liegen und sprechen daher von den physischen oder physiologischen Phänomenen der Hypnose.

Gegenstand des Streites ist hauptsächlich der „grand hypnotisme,» die Erscheinungen, welche Charcot an hypnotisirten Hysterischen be- schrieben hat (vgl. S. 81 n.ff.). Abweichend von dem Verhalten normaler Hypnotisirter, sollen hj^sterische Personen drei Stadien der Hypnose zeigen, von denen jedes durch besondere physische Kennzeichen sehr merkwürdiger Art (wie die kolossale neuro-musculäre Uebererregbarkeit, die somnambule Contractur etc.) ausgezeichnet ist. Man begreift leiclit, welche Bedeutung die oben angedeutete Verschiedenheit der Auffassung für dieses Gebiet von Thatsachen hat. Sind die Anhänger der Suggestionstheorie im Eechte, so werden all diese Beobachtungen der Salpetriere werthlos, ja verwandeln sich in Beobachtungsfehler. Die Hypnose der Hysterischen hat dann keine eigenen Charaktere; es steht aber jedem Arzt frei, seine Hypnotisirten zu einer ihm be- liebigen Symptomatologie zu veranlassen; wir erfahren aus dem Stu- dium des grand hypnotisme nicht, welche Erregbarkeitsveränderungen im Nervensystem der Hysterischen auf gewisse Eingriffe hin einander ablösen, sondern nur welche AbsichtenCharcot seinen Versuchspersonen in ihm selbst unbewusster Weise suggerirt hat, und das ist für unser Verständniss der Hypnose wie der Hysterie absolut gieichgiltig.

Es ist leicht einzusehen, wie diese Auffassung weitergreifen und ein bequemes Verständniss der hysterischen Symptomatologie überhaupt versprechen kann. Hat die Suggestion des Arztes die Phänomene der hysterischen Hypnose gefälscht, so ist es auch leicht möglich, dass sie sich in die Beobachtung der übrigen hysterischen Symptomatologie eingemengt hat, dass sie für die hj^sterischen An- fälle, Lähmungen, Contracturen u. s. w. Gesetze aufgestellt hat, welche nur durch die Suggestion mit der Neurose zusammenhängen und daher ihre Giltigkeit verlieren, sobald ein anderer Arzt an einem anderen Orte hysterische Kranke beobachtet. Diese Folgerung ist in aller Strenge zu ziehen und in der That bereits gezogen worden. Hü ekel (Die Eolle der Suggestion bei gewissen Erscheinungen der Hysterie und des Hyp- notismus, Jenal888) spricht dieUeberzeugung aus, dassdererste Transfert (Uebertragung der Empfindlichkeit auf die entsprechenden Theile der Gegenseite) einer Hysterischen bei einer historischen Gelegenheit sugge- rirt worden sei, und dass die Aerzte seither fortfahren, dieses angeblich physiologische Symptom stets von Neuem durch Suggestion zu erzeugen.

Ich bin überzeugt, dass diese Auffassung der noch heute in Deutsch- land herrschenden Neigung, die Gesetzmässigkeit der hysterischen Erscheinungen zu verkennen, sehr willkommen sein wird. Wir hätten so ein eclatantes Beispiel erlebt, wie die Vernachlässigung des psy- chischen Momentes der Suggestion einen grossen Beobachter verleitete, aus der zu allem bildsamen Willkür einer Neurose künstlich und fälschlich einen Typus geschaffen zu haben.

Indessen fällt es nicht schwer, die Objectivität der hysterischen Symptomatologie Stück für Stück zu erweisen. Die Kritik Bernheim’s mag gegenüber Untersuchungen wie die von Binet und Fere voll- berechtigt sein, und sie wird jedenfalls ihre Bedeutung darin äussern, dass man bei jeder künftigen Untersuchung über Hysterie und Hypnotismus die Ausschliessung des suggestiven Elements bewusster in’s Auge fasst. Aber die Hauptpunkte der hysterischen Sympto- matologie sind vor dem Verdacht, der Suggestion des Arztes zu ent- stammen, gesichert; Berichte aus vergangenen Zeiten und aus fernen Ländern, die Charcot und seine Schüler gesammelt haben, lassen keinen Zweifel darüber, dass die Eigenthümlichkeiten der hysterischen Anfälle, hysterogenen Zonen, Anästhesien, Lähmungen und Contracturen sich überall und jederzeit so gezeigt haben wie in der Salpetriere zur Zeit, da Charcot seine unvergänglichen Untersuchungen über die grosse Neurose pflegte. Gerade der Transfert, der sich zum Erweis des suggestiven Ursprungs der hysterischen Symptome besonders zu eignen scheint, ist unzweifelhaft ein genuiner Vorgang. Er kommt an unbeeinflussten B^’ällen von Hysterie zur Beobachtung, indem man häufig Grelegenheit hat, Kranke zu sehen, deren sonst typische Hemi- anästhesie um ein Organ oder eine Extremität verkürzt ist, welcher Körpertheil auf derunempfindlichen Seite empfindlich geblieben, dagegen auf der anderen Seite anästhetisch geworden ist. Der Transfert ist auch eine physiologisch verständliche Erscheinung, er ist, wie Untersuchungen in Deutschland und Frankreich gezeigt haben, blos eine Uebertreibung einer normalerweise vorhandenen Beziehung zwischen symmetrischen Theilen, er lässt sich also in rudimentärer Andeutung an Gesunden hervorrufen. Mannigfache andere hysterische Symptome der Sensibilität haben gleichfalls ihre Wurzel in normalen physiologischen Beziehungen, wie die schönen Untersuchungen vonUrbantschitsch ergeben haben. Es ist hier nicht der Ort, die Rechtfertigung der hysterischen Sympto- matologie in’s Einzelne durchzuführen; man darf aber den Satz an- nehmen, dass dieselbe im Wesentlichen realer, objectiver Natur und nicht durch die Suggestion der Beobachter gefälscht ist. Dem psy- chischen Mechanismus der hysterischen Manifestationen ist hiermit nicht widersprochen, nur ist es nicht der Mechanis mus der Suggestion von Seiten des Arztes.

Mit dem Nachweis objectiver, physiologischer Phänomene in der Hysterie ist auch die Möglichkeit, dass der hysterische „grosse» Hypno- tismus Erscheinungen zeigen mag, welche nicht auf die Suggestion des Untersuchers zurückgehen, gerettet. Ob solche wirklich vorkommen, muss eine von diesem Gesichtspunkt geleitete Nachuntersuchung zeigen. Die Schule der Salpetriere hat also zu beweisen, dass die drei Stadien der hysterischen Hypnose auch an einer neu eintretenden Versuchs- person bei dem vorsichtigsten Benehmen der Untersucher unverkenn- bar zu demonstriren sind, und sie wird diesen Beweis wohl nicht lange schuldig bleiben. Denn schon jetzt bietet die Beschreibung des grand hypnotisme Symptome, welche einer Auffassung als psychische entschiedenst widerstreben. Ich meine die neuro-mus ciliare Erregbar- keitssteigerung des lethargischen Stadiums. Wer gesehen hat, wie in der Lethargie ein sanfter Druck auf einen Muskel, sei es selbst ein Gesichts — muskel oder einer der drei im Leben niemals contrahirten äusseren Muskel des Ohres, das vom Druck betroffene Muskelbündel in tonische Zusammenziehung versetzt, oder wie ein Druck auf einen oberflächlich liegenden Nerven die Endvertheilung dieses Nerven enthüllt, wird nur annehmen können, dass dieser Erfolg von physiologischen Gründen oder von einer zielbewussten Abrichtung herzuleiten ist, und wir die unabsichtliche Suggestion als Ursache mit Beruhigung ausschliessen. Denn die Suggestion kann nichts Anderes ergeben, als was den Inhalt des Bewusstseins ausmacht oder in dasselbe eingetragen worden ist. Unser Bewusstsein weiss aber nur von dem Enderfolg einer Bewegung, nichts von der Wirkung und Anordnung der einzelnen Muskeln und nichts von der anatomischen Vertheilung der Nerven in denselben. Ich werde in einer demnächst erscheinenden Arbeit ausführen, dass die Charakteristik der hysterischen Lähmungen mit diesem Verhältnisse zusammenhängt, und dass dies der Grund ist, weshalb die Hysterie keine Lähmung einzelner Muskeln, keine peripherische Lähmung und keine Gesichtslähmung centralen Charakters kennt. Herr Bernheim hätte es nicht versäumen sollen, das Phänomen der hyperexcitabilite ueuro-musculaire auf dem Wege der Suggestion hervorzurufen, und es ist eine grosse Lücke seines Argumentes gegen die drei Stadien, dass er dies nicht gethan hat.

Es giebt also physiologische Phänomene wenigstens im hysterischen grossen Hypnotismus. Aber im kleinen normalen Hypnotismus, der, wie Bernheim mit Recht hervorhebt, für das Verständniss des Problems die grössere Bedeutung besitzt, sollen alle Erscheinungen auf dem Wege der Suggestion, auf psychischem Wege zu Stande kommen, sogar der hypnotische Schlaf ist selbst ein Erfolg der Suggestion. Der Schlaf tritt vermöge der normalen Suggerirbarkeit der Menschen ein, weil-Bernheim die Erwartung des Schlafes erweckt. Aber andere Male scheint der Mechanismus des hypnotischen Schlafes doch ein anderer zu sein. Jedem, der viel hypnotisirt hat, wird es geschehen sein, dass er auf Personen gestossen ist, die auf Einreden nur schwer in Schlaf zu versenken sind, dagegen leicht, wenn man sie einige Zeit fixiren lässt. Ja, wer hat es nicht erlebt, dass ihm Kranke in hypnotischen Schlaf verfallen sind, die er nicht zu hypnotisiren gedachte, und die gewiss keine Vorstellung von der Hypnose mitbrachten. Eine Kranke wird zum Zwecke einer Augen- oder Kehlkopfuntersuchung hingesetzt, die Erwartung des Schlafes besteht weder beim Arzte noch bei der Kranken; aber sowie der Lichtreflex auf ihre Augen fällt, schläft sie ein imd ist vielleicht zum ersten Male in ihrem Leiben hypnotisirt. Hier war doch jedes bewusste psychische Zwischenglied auszuschliessen. Das gleiche Verhalten zeigt unser natürlicher Schlaf, den Bernheim so glücklich zum Vergleich mit der Hypnose heranzieht. Zumeist erzeugen wir uns den Schlaf durch Suggestion, durch psychische Vorbereitung und Erwartung desselben, aber mitunter überfällt er uns ohne unser Darzuthun in Folge des physiologischen Zustandes der Ermüdung. Auch wenn m.an Kinder durch Einwiegen, Thiere durch Fesselung hypnotisirt, kann von einer psychischen Verursachung nicht eigent- lich die Eede sein. Wir sind also auf dem Standpunkte angelangt, den Preyer und Binswanger in der Eulenburg’schen Realency- klopädie vertreten. Es giebt psychische und physiologische Phänomene im Hypnotismus, die Hypnose kann selbst auf die eine oder auf die andere Art herbeigeführt werden. Ja, in der Beschreibung Bernheim’s selbst von seinen Hypnosen ist ein von der Suggestion unabhängiges objectives Moment unverkennbar. Wenn dies nicht der Fall wäre, so müsste, wie Jendrassik [Areliives de Neurologie XI, 1886.] consequenter Weise fordert, die Hypnose für jede Individualität des Experimentators ein anderes Gesicht tragen; es wäre nicht zu verstehen, dass die Steigerung der Suggerirbarkeit eine gesetzmässige Folge erkennen lässt, dass die Musculatur immer nur zur Katalepsie beeinflusst wird, und Aelinliches mehr.

Man muss aber Bernheim Recht geben, dass die Zertheilung der hypnotischen Erscheinungen in physiologische und psychische einen durchaus unbefriedigenden Eindruck macht; es wird ein Binde- glied zwischen beiden Reihen dringend erfordert. Die Hypnose ist, auf die eine wie auf die andere Weise erzeugt, stets die nämliche und zeigt die nämlichen Erscheinungen; die hysterische Symptomatologie [2] deutet in vielen Stücken auf einen psychischen Mechanismus, welcher aber nicht der der Suggestion sein soll; endlich steht die Sache der Suggestion um so Vieles besser als die der physiologischen Beziehungen, da die Wirkungsweise der ersteren unzweifelhaft und vergleichsweise durchsichtig ist, während sich die gegenseitigen Beeinflussungen der nervösen Eregbarkeit, auf welche die physiologischen Phänomene zurückgehen müssen, unserer sonstigen Kenntniss entziehen.

[2] Die Beziehungen der Hysterie zum Hypnotismus sind gewiss recht intime, gehen aber nicht so weit, dass man einen gemeinen hysterischen Anfall als einen hypno- tischen Zustand von mehreren Stadien vorstellen dürfte, wie Meynert in der k. Gesell- schaft der Aerzte Wiens gethan hat. (Referat in Wiener medie. Blätter, Nr. 23, 1888.) In demselben Vortrag seheint überhaupt eine Vermengung unserer Kenntnisse von diesen beiden Zuständen stattzuhaben, denn es ist von vier Stadien der Hypnose nach Charcot die Eede, während Chareot solcher Stadien nur drei kennt, und das vierte Stadium, das sogenannte s omni ante, sich ausser bei Meynert sonst nirgends erwähnt findet. Dagegen schreibt Chareot allerdings dem hysterischen Anfall vier Stadien zu.

Die gesuchte Vermittlung zwischen den psychischen und physiologischen Phänomenen der Hypnose hoffe ich in den nachfolgenden Bemerkungen andeuten zu können:

Ich glaube, dass der schwankende und vieldeutige Gebrauch des Wortes „Suggestion» eine Schärfe der Gegensätze vorspiegelt, welche in Wirklichkeit nicht besteht. Es lohnt sich der Mühe zu untersuchen, was man eigentlich eine „Suggestion nennen darf. Es ist gewiss eine Art der psychischen Beeinflussung darunter verstanden, und ich möchte sagen, die Suggestion kennzeichnet sich vor anderen Arten der psychi- schen Beeinflussung, dem Befehl, der Mittheilung oder Belehrung und Anderem dadurch, dsss bei ihr in einem zweiten Gehirn eine Vorstellung erweckt wird, welche nicht auf ihre Herkunft geprüft, sondern so angenommen wird, als ob sie in diesem Gehirne spontan entstanden wäre. Classische Beispiele von solchen Suggestionen sind es, wenn der Arzt einen Hypnotisirten sagt : „Ihr Arm muss so bleiben, wie ich ihn hinstelle», und nun das Phänomen der Katalepsie eintritt, oder, wenn er den mehrmals herabfallenden Arm jedesmal wieder auf- richtet und den Patienten so errathen lässt, dass er ihn aufgerichtet wünscht. Aber andere Male spricht man von Suggestionen, wenn der Mechanismus des Herganges offenbar ein anderer ist. Bei vielen Hypnotisirten tritt die Katalepsie z. B. ohne jede Einschärfung auf; der erhobene Arm wird ohneweiters erhoben gehalten, oder der Hypno- tisirte bewahrt, wenn kein Eingriff erfolgt, unverändert die Stellung, in welcher er eingeschlafen ist. Bernheim nennt auch diesen Erfolg eine Suggestion, die Stellung suggerirt sich selbst ihre Erhaltung; aber in diesem Falle ist der Antheil der äusseren Anregung offenbar ein geringerer, der Antheil des physiologischen Zustandes des Hypno- tisirten, welcher keine Impulse zur Stellungsveränderung aufkommen lässt, ein grösserer als in den vorigen Fällen. Der Unterschied zwischen einer directen psychischen und einer indirecten — physiologischen — Suggestion zeigt sich vielleicht deutlicher am nachfolgenden Beispiel. Wenn ich einem Hypnotisirten sage: „Dein rechter Arm ist gelähmt. Du kannst ihn nicht bewegen», so ist das eine directe psychische Sug- gestion. Anstatt dessen führt Charcot einen leichten Schlag gegen den Arm des Hypnotisirten oder sagt ihm: „Sieh da, dieses abscheu- liche Gesicht, hau’ d’rauf los.» Er schlägt darauf los und der Arm sinkt gelähmt herab. [Lecons du Mardi ä la Salpetriere. T. 1, 1887/8.] In diesen beiden Fällen hat die äussere Anregung zunächst eine Empfindung von schmerzhafter Erschöpfung im Arm erzeugt, welche ihrerseits selbstständig und unabhängig von der Einmengung des Arztes die Lähmung suggerirt, falls dieser Ausdruck hier noch An- wendung finden soll. Mit anderen Worten, es handelt sich hier nicht so sehr um Suggestionen, als um Anregung zu Autosuggestionen, welche, wie Jedermann einsieht, ein objectives, vom Willen des Arztes unabhängiges Moment enthalten, und eine Beziehung zwischen ver- schiedenen Innervations- oder Erregungszuständen des Nervensystems enthüllen. Durch solche Autosuggestionen entstehen die spontanen hysterischen Lähmungen, und die Neigung zu solchen Autosuggestionen charakterisirt die Hysterie besser als die Suggerirbarkeit für den Arzt, mit welcher erstere überhaupt nicht parallel zu gehen scheint.

Ich brauche nicht hervorzuheben, dass auch Bernheim auf das Ausgiebigste mit solchen indirecten Suggestionen, d. h. mit Anregungen zur Autosuggestion arbeitet. Sein Verfahren der Einschläferung, wie er es auf den ersten Blättern dieses Buches schildert, ist wesentlich ein gemischtes, d. h. die Suggestion stösst die Thüren ein, welche sich für die Autosuggestion eben langsam von selber öffnen.

Die indirecten Suggestionen, bei welchen sich zwischen der An- regung von aussen und dem Erfolg eine Reihe von Zwischengliedern aus der eigenen Thätigkeit der suggerirten Person einschiebt, sind immer noch psychische Vorgänge, aber sie empfangen nicht mehr das volle Licht des Bewusstseins, welches auf die directen Suggestionen fällt. Wir sind nämlich weit mehr gewohnt, äusseren Wahrnehmungen unsere Aufmerksamkeit zu schenken, als inneren Vorgängen. Die in- directen Suggestionen oder Autosuggestionen sind demnach eben- sowohl physiologische wie psychische Phänomene zu heissen, und die Bezeichnung „Suggeriren» wird gleichbedeutend mit der gegenseitigen Erweckung psychischer Zustände nach den G-esetzen der Association. Der Verschluss der Augen führt den Schlaf herbei, weil er als eine derconstantestenBegleiterscheiuungen mit der Vorstellung des Schlafes verknüpft ist; das eine Stück der Phänomene des Schlafes suggerirt die anderen Phänomene der ganzen Erscheinung. Diese Verknüpfung liegt in der Beschaffenheit des Nervensystems, nicht in der Willkür des Arztes, sie kann nicht bestehen, ohne sich auf Veränderungen in der Erregbarkeit der betreffenden Gehirnpartien, in der Inner- vation der G-efässcentren u. s. w. zu stützen und bietet ebensowohl eine psychologische, wie eine physiologische Ansicht. Wie jede Ver- kettung von Zuständen des Nervensystems, lässt auch diese einen x4.blauf in verschiedener Richtung zu. Die Vorstellung des Schlafes kann die Ermüdungsgefühle der Augen und der Muskeln und den entsprechenden Zustand der Gefässnervencentren herbeiführen ; andere Male kann der Zustand der Musculatur oder eine Einwirkung auf die Gefässnerven für sich den Schlafenden wecken u. s. w. Man kann nur sagen, es wäre ebenso einseitig, nur die psychologische Seite des Vorganges ins Auge zu fassen, als wenn man blos die G-efässinner- vation für die Phänomene der Hypnose verantworlich machen wollte.

Wie stellt nun der G-egensatz zwischen den psychischen und den physiologischen Phänomenen der Hypnose? Er hatte eine Bedeutung, so lange man unter der Suggestion die directe psychische Beein- flussung von Seiten des Arztes verstand, welche dem Hypnotisirten eine ihr beliebige Symptomatologie aufdrängt; er geht dieser Bedeu- tung verlustig, sobald erkannt ist, dass auch die Suggestion nur Erscheinungsreihen auslöst, welche in den functionellen Eigenthüm- lichkeiten des hypnotisirten Nervensystems begründet sind, und dass in der Hypnose noch andere Eigenschaften des Nervensystems als die Suggerirbarkeit sich geltend machen. Es könnte sich noch fragen, ob alle Phänomene der Hypnose irgendwo durch psychisches Gebiet durchgehen müssen, mit anderen Worten, denn nur dies kann der Sinn der Frage sein, ob die Erregbarkeitsveränderungen in der Hypnose jedesmal nur das Grossrindengebiet betreifen. Diese Umänderung der Fragestellung scheint bereits über die Beantwortung der Frage zu entscheiden. Es ist unberechtigt, die Grosshirnrinde dem übrigen Nervensystem, wie es hier geschieht, gegenüberzustellen; es ist un- wahrscheinlich, dass eine so tiefgreifende functionelle Veränderung der Grosshirnrinde nicht von bedeutsamen Veränderungen in der Erregbarkeit der anderen Hirntheile begleitet sein sollte. Wir besitzen kein Kriterium, welches einen psychischen Vorgang von einem physio- logischen, einen Act in der Grosshirnrinde von einem Act in den subcorticalen Massen exact zu trennen gestattete, denn das „Bewusst- sein», was immer es sein mag, kommt nicht jeder Thätigkeit der Grosshirnrinde, und der einzelnen nicht jedes Mal im gleichen Masse zu; es ist nichts, was an eine Localität im Nervensystem gebunden wäre. Ich glaube also, man muss die Frage, ob die Hypnose psychische oder physiologische Phänomene zeigt, im Grossen und Ganzen ab- lehnen, und die Entscheidung für jedes einzelne Phänomen von einer speciellen Untersuchung abhängig machen.

Insoferne halte ich mich für berechtigt zu sagen, dass das Werk von Bernheim, während es auf der einen Seite über den Bereich der Hypnose hinausgreift, auf der anderen Seite ein Stück des Gegen- standes unberücksichtigt lässt. Wie lehrreich und bedeutungsvoll aber die Darstellung des Hypnotismus vom Gesichtspunkte der Suggestion sich gestaltet, werden hoffentlich auch die deutschen Löser Bern- heim ‘s anerkennen.

Wien, im August 1888.

Der Uebersetzer.

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